Eine Problemfrage zur Unendlichkeit.

Erste Frage Aufrufe: 667     Aktiv: 03.08.2019 um 08:04

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Lieber Daniel,

eine Frage: Angenommen, unser Universum wäre nicht durch den Urknall begrenzt, sondern würde bereits unendlich lange existieren. Es würde sozusagen bei minus unendlich "beginnen". Wenn der Kosmos aber schon unendlich lange existiert, kann es dann überhaupt zum Jahr 100 kommen? Ich weiß, das scheint eher wie eine Physikfrage, aber eigentlich ist sie ja eher mathematisch-philosophisch :-)

LG

Stephan

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Trotzdem ist es das falsche Forum …   ─   einmalmathe 01.08.2019 um 18:17

Hallo einmalmathe,

das finde ich nicht. Mathematik ist aus der Philosophie entstenden und es ist keineswegs abwegig, zu sagen, Mathematik sei eine spezifische Form, Philosophie zu betreiben (Physik eine andere).

Ist Dir schon einmal aufgefallen, dass zum Beispiel Logik sowohl eine philosophische als auch eine mathematische Teildisziplin ist? Es gibt da offensichtlich beträchtliche Schnittmengen.

Außerdem ist es natürlich so, dass die Annahmen, mit denen die mathemathische Axiomatik arbeitet, philosophischer Natur sind. Im Grunde genommen kannst Du keine Aussage machen, weder in der Mathematik noch in Deinem Alltagsleben, die nicht philosophischer Natur ist bzw. philosophische Implikationen hat. Das gilt auch für den Satz: Der Kaffee ist fertig. Ist der Kaffee real oder die Idee vom Kaffee? Und: Ist der Kaffee an sich eigentlich erkennbar?

Viele Grüße
jake2042
  ─   jake2042 03.08.2019 um 04:54
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Hallo Stephan,

zunächst schreibst Du »Angenommen [...]«. Annehmen kannst Du viel. Allerdings ist meiens Wissens die Urknalltheorie diejenige, die am besten empirisch bestätigt (nicht: bewiesen) ist, die am besten zu den bekannten Tatsachen passt und die wenigsten Nebenannahmen zur Erklärung beobbachtbarer Fakten machen muss (der Herr mitt dem Rasiermesser!).

Soweit das zur Zeit bekannt ist (zumindest mir) gibt es in der von der Physik beschriebenen Welt nichts, was tatsächlich unendlich wäre. In der Mathematik ist das anders. Hier gibt es durchaus Fälle, in denen es sinnvoll ist, mit dem Begriff unendlich zu arbeiten. Zum Beispiel bei dem folgenden Denkexperiment, mit dem sich zeigen lässt, dass \(0,\overline{9}=1\) ist.

Der Unterschied von 0,9 zu 1 ist 0,1. Wenn nun eine 9 nach dem Komma hinzugefügt wird, habe ich 0,99. Der Untershcied von 0,99 zu 1 ist nur noch 0,01, der von 0,999 zu 1 0,001 usw. Je mehr Neunen ich nach dem Komma habe, desto kleiner wird der Unterschied zu 1. Solange ich eine endliche Anzahl von Neunen hinter dem Komma habe, bleibt aber immer ein \(\varepsilon\) übrig, das heißt es gibt immer einen Unterschied zu 1, wie klein er auch sein mag. Dieser Gedankengang kann folgendermaßen formalisiert werden:

$$\sum_{i=1}^{k}\frac{9}{10^{i}}+\varepsilon=1\qquad\textrm{mit}\:\varepsilon>0 \tag{1}$$

Je größer \(k\) ist, desto kleiner ist \(\varepsilon\), ohne dass es ganz verschwinden würde. Wenn es nach dem Komma aber unendlich viele Neunen gibt, dann wird der Unterschied zu 1 unendlich klein, das heißt er verschwindet (bzw. wird exakt 0). Es geht hier vom Gedankengang her um eine Grenzwertbestimmung. Mathematisch lässt sich das so ausdrücken:

$$\lim_{k\rightarrow\infty}\sum_{i=1}^{k}\frac{9}{10^{k}}=1 \tag{2}$$

Dabei ist unendlich keine Zahl, sondern drückt gewissermaßen einen Denkprozess aus. Diese Art, mit unendlich im Zusammenhang mit Grenzwertbestimmungen umzugehen, ist nicht ohne philosophische Implikationen, hat sich aber als leistungsfägig herausgestellt.

Soweit jetzt mal meine unmathematischen Überlegungen.

Viele Grüße
jake2042

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Ein Nachtrag: Wie kann es zum Jahr 100 kommen, wenn es keinen Anfang in der Zeit gäbe?

Dann hätte die Zeit keinen absoluten Nullpunkt, wie er bei der Temperatur zum Beispiel durch 0 Kelvin oder 0 Grad Rankine angegeben werden kann. Aber es könnten durchaus relative Nullpunkte definiert werden (was ja auch mit verschiedenen Zeitrechnungen getan wird), beispielsweise der Entstehungszeitpunkt der Erde (nicht des Universums) oder der Geburtszeitpunkt eines bestimmten Mannes in Nazareth oder das Jahr des Sturms auf die Bastille oder das Jahr des Regierungsantritts eines bestimmten Herrrschers. Oder noch etwas anderes. Genauso, wie mit Temperaturskalen wie Grad Celsius oder Grad Fahrenheit Temperaturen angegeben werden können, können dadurch auch Zeitangaben gemacht werden. Wenn Du zum Beispiel sagst: es handelt sich um das Jahr 100 unserer Zeitrechnung (also der, die sich nach der Geburt des erwähnten Mannes in Nazareth richtet), dann ist das eine eindeutige Angabe.

Schwierig würde es lediglich mit Behauptungen der Art, 200 Jahre seien doppelt so lang wie 100 Jahre. Dazu wäre ein absoluter Nullpunkt nötig (Ratioskala). Die Annahme der Gleichmäßigkeit des Zeitablaufs, wie zum Beispiel, dass die Erde immer dieselbe Zeit benötigt, um einmal die Sonne zu umkreisen, würde dafür nicht ausreichen, weil das dann nur intervallskaliert wäre. Der Unterschied zu Äpfeln ist dann eben der, dass Du nicht weniger als 0 Äpfel in Deiner Hand halten kannst. Bei Äpfeln gibt es also einen absoluten Nullpunkt.

Insofern ist schon die Möglichkeit zu sagen, jemand sei doppelt so alt wie jeand anderes oder ein Ereignis sei halb so lange her wie ein anderes, ein klares Indiz dafür, dass die Zeit tatsächlich einen absoluten Nullpunkt hat. Sonst wären solche Aussagen eben so etwas wie höherer Unsinn.

Viele Grüße
jake2042

 

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