Hallo Recruit 202202,
an dieser Stelle würde ich noch gerne einige Hintergrundinformationen beisteuern. Die Frage ist: wie kommen die Wahrscheinlichkeiten, die in Deinem Mathebuch stehen, eigentlich zustande?
Laplace-Wahrscheinlichkeiten
Du hast es hier mit einer Art von Wahrscheinlichkeiten zu tun, die Laplace-Wahrscheinlichkeiten genannt werden. Dabei ist wichtig, dass die Möglichkeiten, die es insgesamt gibt, endlich, abzählbar und alle gleichwahrscheinlich sind. Wenn die Möglichkeiten, die es gibt, diese Eigenschaften haben, dann kannst Du Wahrscheinlichkeiten nach Formal (1) berechnen.
$$\textrm{Wahrscheinlichkeit}=\frac{\textrm{Anzahl der günstigen Möglichkeiten}}{\textrm{Anzahl aller Möglichkeiten}}\tag{1}$$
Der Nenner
Um herauszufinden, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, bei fünf Würfen mit dem Würfel mindestens einmal eine 6 zu würfeln, musst Du erst einmal wissen, wieviele Wurfmöglichkeiten es überhaupt gibt.
Du würfelst fünfmal hintereinander mit einem Würfel. Bei jedem der fünf Würfe kann eine der sechs Seiten des Würfels am Ende oben liegen, und zwar mit gleicher Wahrscheinlichkeit. Du hast jetzt fünf Würfe hintereinander, die alle voneinander unabhängig sind. Das heißt, das Ergebnis eines Wurfes beeinflusst nicht das Ergebnis des darauf folgenden Wurfes. Insgesamt hast Du also \(6\cdot 6\cdot 6\cdot 6\cdot 6=6^5=7776\) verschiedene Wurfmöglichkeiten, die alle gleich wahrscheinlich sind. Das ist die Zahl, die in den Nenner des Bruchs in Formel (1) kommt.
Der Zähler
Jetzt musst Du berechnen, was in den Zähler kommt. Wenn Du fünfmal würfelst, kannst Du offenbar 0 mal, 1 mal, 2 mal, 3 mal, 4 mal oder 5 mal eine 6 würfeln. Wie können sich die Würfe mit einer 6 in jedem dieser Fälle auf die fünf Würfe verteilen? Um das herauszufinden, ohne dass Du eine Formel kennst, nach der das berechnet werden kann, [1] überlegst Du Dir folgendes. Ein Wurf kann entweder eine 6 zeigen oder keine 6 zeigen. Wenn er eine 6 zeigt, schreibst Du das so hin. Wenn er keine 6 zeigt, sondern eine der anderen fünf Ziffern, dann schreibst Du ein x. Du schreibst die fünf Würfe nebeneinander. Du bekommst
für keine Sechs:
\(
\begin{array}{ccccc}
x & x & x & x & x
\end{array}
\)
für eine Sechs:
\(
\begin{array}{ccccc}
6 & x & x & x & x\\
x & 6 & x & x & x\\
x & x & 6 & x & x\\
x & x & x & 6 & x\\
x & x & x & x & 6
\end{array}
\)
für zwei Sechsen:
\(
\begin{array}{ccccc}
x & x & x & 6 & 6\\
x & x & 6 & x & 6\\
x & 6 & x & x & 6\\
6 & x & x & x & 6\\
x & x & 6 & 6 & x\\
x & 6 & x & 6 & x\\
6 & x & x & 6 & x\\
x & 6 & 6 & x & x\\
6 & x & 6 & x & x\\
6 & 6 & x & x & x
\end{array}
\)
für drei Sechsen:
\(
\begin{array}{ccccc}
6 & 6 & 6 & x & x\\
6 & 6 & x & 6 & x\\
6 & x & 6 & 6 & x\\
x & 6 & 6 & 6 & x\\
6 & 6 & x & x & 6\\
6 & x & 6 & x & 6\\
x & 6 & 6 & x & 6\\
6 & x & x & 6 & 6\\
x & 6 & x & 6 & 6\\
x & x & 6 & 6 & 6
\end{array}
\)
für vier Sechsen:
\(
\begin{array}{ccccc}
x & 6 & 6 & 6 & 6\\
6 & x & 6 & 6 & 6\\
6 & 6 & x & 6 & 6\\
6 & 6 & 6 & x & 6\\
6 & 6 & 6 & 6 & x
\end{array}
\)
für fünf Sechsen:
\(
\begin{array}{ccccc}
6 & 6 & 6 & 6 & 6
\end{array}
\)
Es gibt demnach:
- 1 Kombination für keine Sechs
- 5 Kombinationen für eine Sechs
- 10 Kombinationen für zwei Sechsen
- 10 Kombinationen für drei Sechsen
- 5 Kombinationen für vier Sechsen
- 1 Kombination für fünf Sechsen
In jeder dieser 32 Kombinationen steht ein x für 5 Wurfmöglichkeiten (die Seiten 1, 2, 3, 4 oder 5 können oben liegen). Die Anzahl der x-Würfe in einer Kombination zeigt, wieviel mal die 5 mit sich selbst multipliziert werden muss, um auf die Anzahl der Möglichkeiten zu kommen, die diese Kombination repräsentiert. Zum Beispiel ist es bei dieser Kombination:
\(
\begin{array}{ccccc}
6 & x & 6 & 6 & x
\end{array}
\)
so, dass sowohl im zweiten als auch im fünften Wurf jeweils eine 1, eine 2, eine 3, eine 4 oder eine 5 gewürfelt werden kann. Das ergibt \(5\cdot 5=5^2=25\) Wurfmöglichkeiten für diese Kombination.
- Es gibt eine Kombination mit 5 x-Würfen.
- Bei jeder Kombination mit 5 x-Würfen (d.h. keiner 6) gibt es \(5^5=3125\) Wurfmöglichkeiten.
- Das ergibt \(1\cdot 3125=3125\) Wurfmöglichkeiten, wenn keine 6 gewürfelt wird.
- Die Wahrscheinlichkeit dafür ist \(\frac{3125}{7776}=0,4019\) oder 40,19 Prozent.
So gehst Du das dann für alle Kombinationen durch. Das führt zu Tabelle 1.
Tabelle 1: Berechnung der Wahrscheinlichkeiten
\(
\begin{array}{|ccrrrr|}
\hline
\textrm{x-Würfe} & \textrm{Würfe} & \textrm{Kombinationen} & \frac{\textrm{Möglichkeiten}}{\textrm{Kombination}} & \textrm{Möglichkeiten} & P\\
\hline
0 & 5 & 1 & 1 & 1 & \qquad0,0001\\
1 & 5 & 5 & 5 & 25 & 0,0032\\
2 & 5 & 10 & 25 & 250 & 0,0322\\
3 & 5 & 10 & 125 & 1250 & 0,1608\\
4 & 5 & 5 & 625 & 3125 & 0,4019\\
5 & 5 & 1 & 1325 & 3125 & 0,4019\\
\hline
\textrm{Gesamt} & & & & 7776 & 1,0000\\
\hline
\end{array}
\)
\(P\) steht für Wahrscheinlichkeit. Wenn Du diese Spalte zusammenaddierst, wirst Du sehen, dass Du nicht 1,0000 sondern 1,0001 herausbekommst. Das liegt daran, dass die Werte gerundet sind. Der Wert in der dritten Zeile dieser Spalte hat an der vierten Nachkommastelle eigentlich eine 1 und an der fünften Nachkommastelle eine 5. Gerundet macht das in der vierten Nachkommastelle eine 2. Dein Mathebuch hat an der Stelle etwas geschummelt, indem hier der Wert in der dritten Zeile nicht gerundet worden ist.
Eine Formel erleichtert das Leben
Das ganze Vorgehen, wie ich es hier beschrieben habe, ist insgesamt doch etwas mühselig. Wenn Du fünfmal würfelst, geht das noch. Aber was, wenn Du 1000 mal würfelst? Da alle Kombinationen aufzuschreiben und daraus die Wurfmöglichkeiten zu errechnen, dürfte sich als ein recht schwieriges Unterfangen herausstellen. Da wäre es doch gut, eine Formel zu haben, mit der die Anzahl der Kombinationen, mit denen sich \(k\) Sechsen auf \(n\) Würfe verteilen lassen, leicht errechnen lässt. So eine Formel gibt es. Sie heißt Binomialkoeffizient.
Weil das bei dieser Folmel eine Rolle spielt, solltest Du wissen, was Fakultät ist. Nimm an, Du hast vier Spielkarten (Kreuz Bube, Herz 2, Pik Ass, Karo 7), die Du in beliebiger Reihenfolge von links nach rechts vor Dich hinlegen sollst. Wie viele Reihenfolgen sind möglich? Nun, es sind \(1\cdot 2\cdot 3\cdot 4=4!=24\) Möglichkeiten. Das Ausrufungszeichen steht für »Fakultät«. \(n!\) bedeutet, dass Du die natürlichen Zahlen von \(1\) bis \(n\) miteinander multiplizieren sollst. (Für den Rechenvorgang kannst Du die 1 natürlich weglassen, da sie das Ergebnis nicht verändert). Eine Sonderregel betrifft die Zahl Null. Hier gibt es einfach eine Definition, nämlich \(0!=1\). Dass \(1!=1\) ist, erklärt sich dagegen von selbst. Wenn
- \(k\) die Anzahl der Sechsen und
- \(n\) die Anzahl der Würfe ist,
dann ist der Binomialkoeffizient wie in Formel (2) definiert.
$$\binom{{\displaystyle n}}{{\displaystyle k}}=\frac{{\displaystyle n!}}{{\displaystyle (n-k)!\cdot k!}} \tag{2}$$
In unserem Fall hast Du
\begin{array}{ccccr}
\binom{{\displaystyle 5}}{{\displaystyle 0}} & = & \frac{{\displaystyle 5!}}{{\displaystyle (5-0)!\cdot0!}} & = & 1\\
\binom{{\displaystyle 5}}{{\displaystyle 1}} & = & \frac{{\displaystyle 5!}}{{\displaystyle (5-1)!\cdot1!}} & = & 5\\
\binom{{\displaystyle 5}}{{\displaystyle 2}} & = & \frac{{\displaystyle 5!}}{{\displaystyle (5-2)!\cdot2!}} & = & 10\\
\binom{{\displaystyle 5}}{{\displaystyle 3}} & = & \frac{{\displaystyle 5!}}{{\displaystyle (5-3)!\cdot3!}} & = & 10\\
\binom{{\displaystyle 5}}{{\displaystyle 4}} & = & \frac{{\displaystyle 5!}}{{\displaystyle (5-4)!\cdot4!}} & = & 5\\
\binom{{\displaystyle 5}}{{\displaystyle 5}} & = & \frac{{\displaystyle 5!}}{{\displaystyle (5-5)!\cdot5!}} & = & 1
\end{array}
Der Trick mit dem Dreieck
Es gibt noch einen Trick, wie Du ohne viel zu rechnen an dieselben Kombinationsanzahlen kommen kannst. [2] Du schreibst möglichst weit oben in der horizontalen Mitte Deines Blatts eine 1.
Dann schreibst Du in der Zeile darunter links und rechts von der 1 darüber jeweils wieder eine 1. Das sieht so aus:
\begin{array}{ccc}
& 1\\
1 & & 1
\end{array}
In der Zeile darunter schreibst Du jetzt links neben der 1 in der Zeile darüber wieder eine 1. Zwischen die beiden Einsen in der Zeile darüber schreibst Du jetzt die Summe dieser beiden Zahlen, das heißt 2. Rechts neben die rechte 1 in der Zeile darüber schreibst Du wieder eine 1. Jetzt sieht das Ganze so aus:
\begin{array}{ccccc}
& & 1\\
& 1 & & 1\\
1 & & 2 & & 1
\end{array}
Dann schreibst Du die nächste Zeile darunter. So:
\begin{array}{ccccccc}
& & & 1\\
& & 1 & & 1\\
& 1 & & 2 & & 1\\
1 & & 3 & & 3 & & 1
\end{array}
Das machst Du jetzt so weiter, bis Du keine Lust mehr hast und Du Fußball spielen gehen willst (oder Dich mit WoW vergnügen):
\begin{array}{ccccccccccccccccc}
& & & & & & & & 1\\
& & & & & & & 1 & & 1\\
& & & & & & 1 & & 2 & & 1\\
& & & & & 1 & & 3 & & 3 & & 1\\
& & & & 1 & & 4 & & 6 & & 4 & & 1\\
& & & 1 & & 5 & & 10 & & 10 & & 5 & & 1\\
& & 1 & & 6 & & 15 & & 20 & & 15 & & 6 & & 1\\
& 1 & & 7 & & 21 & & 35 & & 35 & & 21 & & 7 & & 1\\
1 & & 8 & & 28 & & 56 & & 70 & & 56 & & 28 & & 8 & & 1\\
& & & & & & & & \cdots
\end{array}
So.
Und jetzt hüpfst Du von der obersten 1, der Spitze dieses Dreiecks, fünfmal eine Zeile runter und liest was in dieser Zeile steht:
\begin{array}{ccccccccccc}
1 & & 5 & & 10 & & 10 & & 5 & & 1
\end{array}
Aha.
Viele Grüße
jake2042
Anmerkungen
[1]
Es gibt natürlich eine, nämlich den Binomialkoeffizienten. Darauf kommen ich weiter unten.
[2]
Im folgenden Abschnitt wird der Aufbau des Pascalschen Dreiecks beschrieben. Mehr Dazu findest Du hier:
https://de.wikipedia.org/wiki/Pascalsches_Dreieck