2) Ja, die Ableitungsregeln sind griffige Fassungen des Resultats bei der Berechnung "der Ableitung", also des Differentialquotienten (also eines bestimmten Grenzwertes von Differenzenquotienten) für Funktionsterme einer bestimmten Form.
Die herkömmlichen Integrations"regeln", die man so lernt (Linearität, Monotonie, partielle Integration, Substituation usw.) sind zu einem Teil direkte Folgen der jeweils gewählten Definition des Begriffs "Integral" (z.B. die Linearität), oder aber - häufiger - gleichwertige Umformulierungen von Ableitungsregeln. Das funktioniert wegen des Zusammenhangs zwischen Integration und Differentiation, die der Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung liefert: Die von x abhängige Funktion "Integral über f von a bis x" ist (für z.B. stetiges f) differenzierbar mit Ableitung x.
Dann bekommt man z.B. die Regel von der partiellen Integration aus der Produktregel für Ableitungen, und die Regel über Integration durch Substitution aus der Kettenregel. (Ist F eine Stammfunktion von f, also F' = f, so ist die Ableitung von F(h(t)) genau f(h(t)) * h'(t), anders gesagt: F o h ist eine Stammfunktion von f(h(t)) * h'(t).)
3) "wtf" trifft es schon ganz gut. :-) Die Magie steckt im schon erwähnten Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung: Wenn ich das Integral definiere, wie Du es beschreibst (sinnvoll ist deine Beschreibung für bestimmte Integrale, also \( \int_a^b f(t) dt \)) als Grenzwert einer Summe von immer kleineren "Streifenbreiten" mit jeweiligen Funktionswerten [es gibt da verschiedene Varianten, die aber zumindest für stetige Funktionen alle das gleiche Resultat liefern], dann bekommt man etwas, das "offenbar" das tut, was man möchte (Flächen unter Funktionsgraphen bestimmen), aber das (außer in sehr einfachen Spezialfällen) kein Mensch direkt ausrechnen kann.
Die geniale Erkenntnis ist nun: Wenn man das nicht nur für ein festes Intervall [a,b] macht, sondern sich die obere Integralgrenze als Variable vorstellt (also \( \int_a^x f(t) dt \) hinschreibt), bekommt man eine Funktion, deren Ableitung wieder die ursprüngliche Funktion f ist. (Das ist sogar gar nicht mal so schwer einzusehen, wenn man die Definition der Ableitung hinschreibt.) Wenn man sich dann überlegt, dass es (bis auf Addition von Konstanten) nur eine einzige Funktion geben kann, deren Ableitung die ursprüngliche Funktion f ist, kann man den Spieß umdrehen und sagen: Ich muss nur eine Funktion finden, deren Ableitung f ist - und mit ihr kann ich Integrale über f berechnen.
Die Integrationsregeln, die Du andeutest ("kurz 1 addieren und dann durch etwas teilen") kommen alle aus dieser grundlegenden Erkenntnis, dass Integrieren (mit variabler Integrationsgrenze) "das Gegenstück zum Ableiten ist". Ein Integral über \( t^2 \) kann man also deshalb mit Hilfe von \( t^3/3 \) berechnen, weil die Ableitung von \( t^3/3 \) das gewünschte \( t^2 \) ergibt.
Mathematiker auf Abwegen, Punkte: 60
Die Kurzfassung von dem, was ich geschrieben habe, ist ja ungefähr:
"Integral" ist geometrisch definiert als "Fläche unter der Funktion" (genauer: krasser Grenzwert mit immer schmaleren Streifen usw.). Gut vorstellbar, aber man kann es nicht ausrechnen.
Das Ausrechnen wird möglich durch die sensationelle Entdeckung, _dass_ es (in bestimmtem Sinne) Umkehren des Differenzierens ist. Dass das stimmt, kann man nicht "einfach so" verstehen, sondern dann muss man anfangen, sich zu fragen, warum man beim Bilden der Ableitung einer Integralfunktion die ursprüngliche Funktion zurückerhält. Ist es das, wonach Du suchst?
Eine anschauliche Begründung wäre: Wenn ich die Fläche unter einer stetigen Funktion f über dem Intervall [a,b] berechne und b nun ein bisschen vergrößere zu b+h, dann ist anzunehmen, dass sich die Fläche ungefähr um f(b) * h vergrößern wird (weil ein ungefähr rechteckiges Stück der Breite h und der Höhe f(b) dazugekommen ist). Wenn man in Formeln aufschreibt, was das bedeutet, ist das exakt die Aussage \( \frac d{db} \int_a^b f(t) dt = f(b) \), also die Aussage "Ableiten und Integrieren sind Gegenteile voneinander". ─ lfm 17.04.2021 um 20:31
Im Endeffekt funktioniert integrieren neunmal so wie es das tut, weil es das Gegenteil vom differenzieren ist? Ja gut aber das ist irgendwie kein Mehrwert für mein Verständnis. Aber trotzdem vielen Dank für deine Mühe, weiß ich sehr zu schätzen! ─ maxmaxmax 16.04.2021 um 18:42